Sehen alle Menschen Farben gleich?
Ist mein Blau auch dein Blau?
Bereits als Kind habe ich mich gefragt, ob meine Freunde Farben gleich wahrnehmen wie ich. Vielleicht sehen sie ja Gelb wie ich Rot sehe. Später habe ich festgestellt, dass es schwierig ist, über Farben zu diskutieren. Ein für mich eindeutig violettes Kleid kann für jemand anderen blau sein. Die Frage blieb offen: Sehen alle Menschen Farben gleich?
Das Auge ist ein wirklich vielfältiges und erstaunliches Organ. Damit wir Farben wahrnehmen können, müssen drei Bedingungen erfüllt werden. Erstens braucht es Licht, zweitens muss das Licht auf einen Gegenstand fallen und drittens darf ein Gegenstand, um farbig zu erscheinen, nur einen Teil des Lichtes reflektieren und muss den anderen Teil verschlucken.
Das für Menschen sichtbare Spektrum reicht von 400 bis ungefähr 780 Nanometer. Danach gehen die Wellenlängen über in das für uns unsichtbare Ultraviolett beziehungsweise Infrarot.
Verantwortlich für die Wahrnehmung des Farbspektrums sind die Sehzellen im Auge, die auf Licht in unterschiedlichen Wellenlängen reagieren. Das menschliche Auge kann bis zu 2,3 Millionen Farbtöne unterscheiden. Kurzwelliges Licht nehmen wir blau bis violett wahr, langwelliges Licht sehen wir rot. Dieses Phänomen wird auf erstaunliche Weise deutlich, wenn wir im Meer tauchen. Nahe an der Wasseroberfläche ist die Unterwasserwelt bunt, je tiefer wir tauchen, desto mehr Farben gehen verloren. Zunächst verschwindet Rot, dann Orange, Gelb und Grün. Am längsten sichtbar ist Blau.
Nicht nur Farbenblinde sehen anders
Wie empfindlich unsere Sehzellen auf die Wellenlängen des Lichts reagieren, kann von Person zu Person durchaus etwas abweichen. Physiologisch gesehen nehmen Menschen Farben aber sehr ähnlich wahr. Die Ausnahme bilden jene mit einer Farbenfehlsichtigkeit. Neun Prozent der Männer sind davon betroffen, aber nur 0,8 Prozent der Frauen. Das liegt daran, dass das entsprechende Gen auf dem X-Chromosom liegt.
Obwohl die meisten Farbsehschwächen genetisch vererbt sind, können sie in seltenen Fällen auch im Verlauf des Lebens entstehen. Die Farbenblindheit gilt aber als Ausnahme, mit anderen Worten als Abweichung der Norm. Da stellt sich nun die Frage, was normal ist. Denn auch im Normalbereich gibt es stets Unterschiede.
Schliessen Sie beispielsweise einmal in einem leicht abgedunkelten Zimmer abwechslungsweise das linke und das rechte Auge. Sie werden wie viele andere Menschen feststellen, dass ein Auge die Welt etwas farbenkräftiger wahrnimmt, als das andere. Oder dass die Umwelt durch ein Auge etwas bläulicher erscheint.
Solche Unterschiede in der Farbwahrnehmung gibt es auch zwischen Menschen. Unterhalten Sie sich einmal mit einem Freund über die Farbe Türkis und sie werden vermutlich feststellen, dass der eine das Türkis als eher blaustichig beurteilt, der andere hingegen als grünstichig.
Wir nehmen alle die gleichen Wellenlängenkombinationen des Lichtes wahr – jedoch jeder auf seine eigene Art und Weise
Wie die Farben heissen, die wir wahrnehmen, müssen wir lernen. Je nach Sprache und Kultur unterscheidet sich die Anzahl benannter Farben und auch die Grenzen zwischen einzelnen Farben variieren. Was wir tatsächlich wissen, ist, dass wir alle die gleichen Wellenlängenkombinationen des Lichtes wahrnehmen. Jedoch jeder auf seine eigene Art und Weise. Die wahrgenommene Farbe existiert also nicht personenunabhängig in der Umwelt, sondern in der individuellen Wahrnehmung jedes einzelnen. Da wir über das Innenleben eines anderen Menschen nichts sagen können, solange aus dem Wahrgenommenen keine unterschiedliche Handlung erfolgt, lässt sich die Frage ob mein Blau auch dein Blau ist, also nicht beantworten.
Simone Weber
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